Dienstag, 14. September 2010

Aufruhr in der Hutong

Vor einigen Tagen wurde ich Zeugin eines kleinen Auffahrunfalles in der Dongmianhua Hutong. Von meinem Zimmerfenster aus konnte ich beobachten, wie ein Personenwagen, dem der Verkehrsfluss offenbar zu langsam vorwärts ging, etwas unsanft die Rückseite eines kleinen Lieferwagens berührte. Die Beifahrerin des Unfallverursachers zeigte sich von dem Geschehnis so wenig begeistert, dass sie dem Mann vor den Augen der sich rasch um sie gruppierten Menschenmasse einfach eine Ohrfeige verpasste. Sicher hatte sie ihn die ganze Zeit über ermahnt, doch nicht so schnell zu fahren und nicht zu drängeln. Den Fahrer hatte das Verhalten der Frau nur noch aggressiver werden lassen, bis sich seine Wut schließlich in dem Lieferwagen entlud.

Die Hutong entpuppte sich im Verlauf der letzten Woche gleich mehrmals als Schauplatz menschlicher Tragödien. So gab es auch vergangenen Freitag wieder Interessantes zu beobachten. Eine Dame, mittleren Alters, etwas rundlicher gebaut und in Weiß-Gelb gekleidet, schimpfte unaufhörlich - auch für nicht Beteiligte gut hörbar - auf ein junges Pärchen, etwa Anfang zwanzig, ein. Den Grund für die Auseinandersetzung konnte ich nicht in Erfahrung bringen und so konzentrierte ich meine ganze Aufmerksamkeit auf den visuellen Aspekt des Vorfalles. Als die streitenden Parteien erkannten, dass alles Nörgeln, Schimpfen und Brüllen nicht den gewünschten Effekt herbeiführte, beschlossen die drei, nun auch vor körperlichem Tatkraft nicht länger zurückzuschrecken. Die junge Frau, von der Ferne eine wahre Schönheit mit taillenlangem pechschwarzen Haar und endlos langen Beinen, die nur von einem knappen Jeansrock bedeckt wurden, begann plötzlich etwas tölpelhaft und unkoordiniert auf die Dame in Weiß-Gelb einzutreten. Diese wehrte sich ihrerseits mit treffsicheren Boxhieben und schnappte sich flink das zum erneuten Schlag ausholende Bein ihrer Kontrahentin. Jetzt klinkte sich auch der junge Mann aktiv in das Geschehen ein, wollte seine Freundin aus dem festen Griff von Weiß-Gelb befreien, scheiterte jedoch kläglich, als diese sich auf seinem Kopf zielsicher ein Haarbüschel schnappte und so fest daran zog, dass der Mann mit dem Gleichgewicht zu kämpfen hatte. Mit dem Fuß der jungen Frau in der einen Hand und dem Haarbüschel des Mannes in der anderen, schien Weiß-Gelb die Situation gut im Griff zu haben und so torkelte das Dreiergespann kreischend von der einen Straßenseite zur anderen. Mittlerweile hatte sich eine dichte Menschentraube um die drei zusammengezogen und jeder der zufällig des Weges kam, kommentierte die skurrile Situation mit eigenen Ratschlägen. Der PKW des jungen Paares blockierte die Straße der Hutong und machte sie für den weiteren Verkehr unpassierbar. So staute sich eine immer länger werdende Reihe von Autos, Mofas und Fahrrädern. Ungeduldig hupte der ein oder andere, jedoch nicht ohne einen neugierigen Blick auf die Szene zu werfen. Unmittelbar hinter dem Personenwagen des Paares befand sich ein besetztes Polizeiauto. Die Beamten hatten jedoch keine große Eile, einzuschreiten. Erst nach etwa einer halben Stunde öffnete sich eine Tür des Wagens und zum Vorschein kam ein sichtlich gelangweilter Polizist, der wohl viel lieber ein erholsames Mittagsschläfchen gehalten hätte, als den Streit zwischen dem jungen Pärchen und Weiß-Gelb zu schlichten. Um die Polizei tatkräftig bei ihrer Arbeit zu unterstützen, eilte sofort ein Fahrrad mit zwei zivilen Ordnungshütern heran, die enthusiastisch gestikulierend diskutierten. Die beiden schienen sich über die Abwechslung in der Hutong zu freuen. Nach etwa einer weiteren halben Stunde hatte man tatsächlich eine Einigung erzielt und der junge Mann kaufte im Restaurant nebenan eine Handvoll Dosen Coca Cola, um sie an alle Mitwirkenden zu verteilen. Weiß-Gelb wischte sich letzte Tränen aus dem Gesicht, lehnte das Cola mit eindeutiger Gestik vehement ab, stieg auf ihr Fahrrad und brauste durch die Hutong davon. Nun hatte auch die Polizei ihre Arbeit getan, maßregelte abschließend noch einmal die jungen Leute, holte sich ein paar Unterschriften der noch verbliebenen Beteiligten und entfernte sich vom Tatort. Die Schaulustigen gingen wieder ihres Weges und die Nachbarn zogen sich in ihre Siheyuan (Vierseithöfe) zurück. Kurze Zeit später war von dem Vorfall nichts mehr zu sehen und das beschauliche Leben in der Hutong nahm nach einem abwechslungsreichen Zwischenfall wieder seinen gewöhnlichen Lauf.

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