Donnerstag, 6. Januar 2011

Die Geschichte vom Kochtopf

Neulich war meine Klasse bei unserer Mitstudentin Jane eingeladen. Jane ist Mitte vierzig, hat drei Kinder, das vierte ist unterwegs. Sie hat zudem einen Mann und einen Siheyuan, also einen traditionellen chinesischen Vierseithof. Ja und sie hat drei Pässe. Den Amerikanischen, den Englischen und den Australischen. Sie sammelt eben gerne. Wir waren also bei Jane eingeladen. Auf dem Weg dorthin wollten wir noch eine Kleinigkeit besorgen, da sie ein ganzes Mittagessen, plus Kuchen und Plätzchen für uns bereitstellen würde. Die Idee war, ein gutes Tröpfchen Wein – vielleicht für den anwesenden Ehemann, da Jane ja schwanger ist - und Schokolade mitzubringen.
Im Supermarkt angekommen steuerten meine Kommilitonin Malina und ich sofort in Richtung Alkohol- und Süßwaren. Unsere Freunde Akihiro, Kiriko und Abdou hatten wir indes ebenso verloren, wie unseren fünfzigjährigen Mitstudenten, den ich nur „Den Holländer“ nennen werde. Als Malina und ich uns gerade für eine hochwertige europäische Pralinenauswahl entschieden hatten, stand der Holländer plötzlich vor uns. Er hatte - wie er selbst angab - eine geniale Idee, was wir Jane schenken könnten. Keine Schokolade, kein Wein. Nein. Ein Kochtopf sollte es sein. Der Algerier Abdou war von der Idee sichtlich begeistert, schließlich sei Jane Mutter von bald vier Kindern und da steht man nun mal für gewöhnlich hinter dem Herd. Das sei doch ganz natürlich. Akihiro und Kiriko schwiegen. Sie wussten nicht worum es ging, da sie kaum Englisch sprechen. Keiner von uns war in der Lage oder der Stimmung, die Diskussion ins Chinesische zu übertragen.
Malina – sie ist ein äußerst direkter Mensch – schlug vor, doch auch noch einen Bodenwischer zu ergänzen. Er würde sich gut neben dem Kochtopf machen. Daraufhin wählte sie gleich ein passendes Multifunktionsgerät aus und präsentierte es dem Holländer. Abdou begutachtete den Wischer äußerst genau, erkannte seine solide Qualität und schien nicht abgeneigt zu sein. Der Holländer konzentrierte sich jedoch ganz auf den Kochtopf und holte fachmännischen Rat ein. Schließlich sollte es ein besonderer Kochtopf sein, mit dauerhaftem Erinnerungswert für Jane. Malina und ich bevorzugten einstimmig die Pralinen, Abdou, Akihiro und Kiriko besorgten doch noch eine gute Flasche Wein mit dem vielversprechenden Namen „Chinesische Mauer“ und der Holländer nach langer Beratung durch eine kompetente Fachkraft, einen gelben Kochtopf im Kürbisdesign.
Die Meinungsverschiedenheiten von Malina und dem Holländer entwickelten sich an der Kasse zu einer handfesten Auseinandersetzung, da Malina den Kochtopf als Beleidigung verstand. Es ginge doch nur um ein kleines Mitbringsel und nicht um die Anzweiflung der feministischen Emanzipation. In Europa würde man laut Malina jedenfalls keinen Kochtopf zum Mittagessen und Nachmittagskaffe verschenken. Der Holländer meinte, in Holland schon. Etwas misstrauisch beäugte er unsere Pralinenschachtel, ob dies alles sei, was wir Jane schenken würden. Die Pralinen waren unter einer weihnachtlichen Plastikglocke angeordnet, die mit einer goldenen Schleife verziert war. Die Worte des Holländers: „ Wollt ihr die Pralinen nicht schön einpacken?“.Aber das waren sie doch schon. Wir waren ohnehin spät dran und rannten schnell in Richtung Ausgang. Als ich mich auf dem Vorplatz des Supermarktes umsah, waren alle da … nur der Holländer nicht. Etwa zehn Minuten später kam er mit einem in neonrotes Papier gehüllten Pappkarton zurück. Das Verpacken hatte länger gedauert, als er zunächst gedacht hatte. Die haben das Papier nämlich gleich am Karton festklammern müssen. Hier wurde nicht mit billigem Klebstreifen gearbeitet. Jetzt schnell zu Jane. Auf dem Weg dorthin wurden wir von so manchem Chinesen erstaunt wahrgenommen. Der Holländer ließ sich jedoch nicht aus der Ruhe bringen. Er war äußerst eifrig darauf konzentriert, sein Geschenk und die kunstvolle Verpackung nicht schon vor der Übergabe zu ruinieren. Bei Jane angekommen überreichten wir unsere Präsente. Jane stellte das prachtvolle rote Etwas erst einmal in die Ecke. Später bat Malina sie, das Paket zu öffnen. Und was musste Jane sehen, einen gelben Kochtopf in Kürbisform. Die Reaktion ihrer besten Freundin, einer Chinesin: „ Oh Jane, remember last week, buy one, get one free.“ Jane meinte: „ The children love to play with it!”. Als der Holländer in den Raum kam und freudestrahlend seinen Kochtopf erblickte, sagte Jane: „Oh Harry, it’s so beautiful!“. Er tat mir fast ein bisschen leid…
Der-Kochtopf

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